Viele Anleger suchen nach der perfekten Anlagestrategie, um unterbewertete Aktien zu finden. Börsenratgeber, Blogs (wie dieser), und Finanznachrichten buhlen mit kostenlosen bis teuren Ratschlägen und Artikeln um die Gunst der Anleger. Die Ansätze reichen von breiten Investitionen in den gesamten Markt auf einmal über Spontankäufe moderner Aktien wie Wirecard oder Tesla, die Analyse von Bilanzen bis hin zum Betrachten der Charts auf profitträchtige Muster. Manche entwickeln ihren persönlichen heiligen Gral als Satz von Indikatoren, den sie mit speziellen Tools „backtesten“, um die Überlegenheit ihres Ansatzes zu beweisen.
Dies ist der erste Beitrag zum Thema „Perfekte Börsenstrategie“. Der nächste behandelt das passive Investieren.
Andere Quellen widersprechen der Ansicht, dass es überhaupt einen überlegenen Ansatz geben könnte, denn wenn ein solcher existierte, dann könnten theoretisch alle Menschen damit reich werden. Das führt ins Absurde führt und kann darum nicht stimmen. Eugene Fama hat für diese Ansicht der effizienten Märkte sogar einen Nobelpreis bekommen. Jeder vorübergehend überlegene Ansatz ist dazu verurteilt, nach seinem Bekanntwerden erfolglos zu werden. Sobald die Anleger mit ihrem Kauf- und Verkaufsverhalten die Vorteile vorwegzunehmen versuchen, machen sie sie dadurch selbst unmöglich. Die Börse ist ein reflexives System, auf das jeder Teilnehmer unmittelbar selbst Einfluss nimmt.
Eine hilfreiche Analogie
Ich veranschauliche die Auswahl von Aktien gerne mit einer Analogie. Stellen wir uns vor, wir stehen irgendwo allein in der Natur und sind gezwungen, uns selbst etwas zu essen zu beschaffen. Gibt eine optimale Strategie dafür?
Jagen und Sammeln im Kleinen
Ein naheliegender und allgemein anwendbarer Rat wäre, nach Pflanzen mit essbaren Blättern oder Wurzeln zu suchen. Auf diese Weise wird man zwar nicht sehr schnell satt, aber man hat praktisch immer gute Chancen, überhaupt zu überleben. Diese Art der Nahrungsbeschaffung vergleiche ich mit festverzinsten Bankguthaben; man kann sie immer bekommen und ist damit weitgehend sicher, aber sie sind ein bisschen dürftig.
Die marktbreite Anlage in Indexfonds ist ein bisschen so, als würde man mit dem Maschinengewehr wild in den Wald feuern. Man kann sich ziemlich sicher sein, auf diese Weise immer irgend etwas zu erlegen. Ein paar Vögel, Hasen, Mäuse erwischt man immer, und wenn man Glück hat, ist auch mal ein Reh dabei. Allerdings kann man auch nicht ausschließen, auch mal nur daneben zu schießen.
Jagd auf Großwild
Wenn man auf Größeres aus ist, kann es sinnvoller sein, erst einmal die Spuren im Wald zu betrachten, die Wasserstellen ausfindig zu machen, und sich in der Nähe eines Wildwechsels auf die Lauer zu legen. Wenn man ein Rentier jagen will, sollte man berücksichtigen, wann die Herde ihre jahreszeitlichen Wanderungen unternehmen. Das ist, was Stockpicker tun. Sie untersuchen die Spuren im Chartverlauf, die Lebensgewohnheiten ihrer Beuteunternehmen und warten die saisonalen Zyklen ab, bevor sie handeln. Wenn dann die Rentierherde kommt, spielen nicht zuletzt auch ihre Mitglieder eine Rolle. Entweder man wählt ein leckeres Jungtier, einen stattlichen Bock, oder ein leichter zu treffendes altes Tier, das immerhin noch für eine Brühe taugt. Entsprechend hat man auch bei Aktien immer eine ganze Reihe konkurrierender Unternehmen zur Auswahl.
Aber was, wenn die Umgebung sich als eine ganz andere herausstellt, als der Wald, von dem hier die Rede war? In der Arktis muss man beim Robbenfang völlig anders vorgehen. Mitten in der Sahara hat man womöglich gar keine Chance zu überleben. Auch an der Börse gibt es Phasen, in denen man bei bestem Willen keine optimale Anlagemöglichkeit findet.
Anwendung auf die Anlagestrategie
Die Analogie hinkt natürlich, wie jede andere auch. Ein Fazit erlaube ich mir trotzdem zu ziehen. Es gibt keine eindeutige perfekte Anlagestrategie an der Börse, ebensowenig wie es eine perfekte Überlebensstrategie in der Wildnis gibt. Aber es gibt eine ganze Reihe optimaler Überlebensstrategien zu bestimmten Zeiten in bestimmten Umgebungen. Die Kunst der Jagd an der Börse besteht darin, je nach Umgebungsbedingungen die richtige Strategie zu wählen. Welche man auswählt, hängt sowohl von den eigenen Anforderungen wie Risikofreude und Gier ab wie auch vom aktuellen Marktumfeld, dem Zyklenverlauf, den Leitzinsen, den Modeerscheinung, den politischen Einflüssen wie Wahlen.
Aktueller Ausblick
Heute, am 6.9.2020, befinden wir uns meiner Meinung nach in der Korrektur des Anstiegs seit dem Corona-Tief im Frühling. Bis zur US-Wahl erwarte ich noch fallende Kurse, insbesondere bei Rentieren, äh, Aktien mit Blähungen. In der Hinsicht wäre für mich zum Beispiel Tesla ein Kandidat. Nach der Wahl in den USA steigen die Börsenkurse meist wieder. Immerhin wird die Hälfte der US-Bevölkerung der Meinung sein, den besseren der zwei Kandidaten zum Präsidenten gewählt zu haben. Die Stimmung der Mehrheit wird dann entsprechend gut. Darum erwarte ich ab November 2020 eine gute Jagd auch auf Großwild. Um die US-Wahl herum werde ich mich nach entsprechenden Spuren umsehen.