Market Timing scheidet die Geister. Die einen sagen, es sei grundsätzlich unmöglich, in einem chaotischen Markt die richtigen Zeitpunkte zu treffen. Dazu gehören auch Nobelpreisträger. Andere meinen, im Grunde betreibe jeder Anleger auf seine Art Market Timing. Dieser Beitrag leitet eine Folge von Artikeln ein, die das Thema Market Timing mit verschiedenen Mitteln behandeln. Zuerst geht es um die allgemeine Möglichkeit oder Unmöglichkeit.
Effiziente Märkte und Random walk
Wahrscheinlich der erste, der die Kursänderungen an den Börsen mathematisch betrachtete, war Jules Regnault. Er beschrieb sie 1863 in seinem Werk „Berechnung der Chancen und Philosophie der Börse“ als Random Walk, zu deutsch Zufallsbewegung. Seine Veröffentlichung ist allerdings heute kaum bekannt. Dasselbe gilt für Louis Bachelier, der im Jahre 1900 in seiner Doktorarbeit „Theorie der Spekulation“ die Kursbewegungen mit der Brownschen Bewegung beschrieb. Demnach sollte jede Änderung chaotisch und damit unvorhersagbar sein. Regnaults und Bacheliers Arbeit gerieten weitgehend in Vergessenheit und sind bis heute nicht sehr bekannt.
Neuen Schwung bekam die Theorie der chaotischen Finanzmärkte 1973 mit Burton Malkiels Buch A Random Walk Down Wall Street. Darin argumentiert Malkiel, dass es wegen der zufälligen Kursschwankungen unmöglich ist, an den Märkten systematisch überdurchschnittliche Gewinne zu erzielen. In Einzelfällen ist dies natürlich nicht ausgeschlossen, ebenso wie es vorkommt, das man mehrere Sechsen nacheinander würfelt. Langfristig aber wird jede Strategie am Chaos scheitern. Dafür widerlegt Malkiel zahlreiche populäre Ansätze und schließt daraus, dass passives Investieren in den ganzen Markt überlegen sei.
Eine Erklärung für die Unverhersagbarkeit der Finanzmärkte liefert die Markteffizienzhypothese von Eugene Fama aus dem Jahr 1970. Ihr zufolge werden alle neuen Informationen sofort in die Preise an den Börsen einfließen. Da die Informationen selbst unvorhersagbar sind, kann auch niemand bei den Änderungen der Kurse vor anderen einen Vorteil haben.
Die Marteffizienzhypothese wird noch unterschiedlich abgestuft, je nachdem, ob nur historische Preisverläufe, oder auch Geschäftsberichte oder Insiderinformationen sofort in den Kursen eingepreist werden. Bis zu welchem Grade die Markteffizienz tatsächlich gilt, ist unklar.
Zufällig sind die Märkte auf jeden Fall auch ohne Markteffizienz. Ob gerade jemand zehntausend Euro erbt und spontan anlegt oder einen Unfall erleidet und sein Depot für ein neues Auto auflöst, ist unvorhersagbar. Solche Transaktionen führen natürlich sofort zu kleinen, unplanbaren Schwankungen in den Kursen.
Random walk, Markteffizienz und Market Timing
Wenn die Markteffizizenzhypothese stimmt und die Marktbewegungen chaotisch sind, sollte es unmöglich sein, aus gezielter Wahl der Investitionszeitpunkte einen Vorteil zu ziehen. Beispiele wie Warren Buffett oder George Soros sowie überzeugte Anhänger von Anlagestrategien scheinen dies zu widerlegen. Andererseits könnten sie aber auch Ergebnisse des Zufalls sein. Wenn an der Börse Millionen von Menschen investieren, werden darunter auch manche zufällig überdurchschnittliche Ergebnisse erzielen. Wenn man mit dem Maschinengewehr auf eine Zielscheibe schießt, trifft man bestimmt auch irgendwann ins Schwarze.
Die Vorhersagbarkeit des chaotischen Wetters
Meiner Ansicht nach sind die Schlussfolgerungen der Markteffizizenzhypothese und der Random-Walk-Theorie nicht schlüssig. Ich will dies am Beispiel des Wetters erläutern.
Auch das Wetter ist zufällig. Es ist der Meteorologie nach wie vor unmöglich anzugeben, an welcher Stelle um wie viel Uhr wie viele Millimeter Regenn fallen werden. Kleine Unregelmäßigkeiten beeinflussen das lokale Wetter auf unvorhersehbare Weise. Ein Baum behindert den Wind, ein erhitzter Parkplatz sorgt für Thermik, und schon verschiebt sich die Regenwolke um hundert Meter. Es lohnt sich im Schnitt aber immer noch, bei grauem Himmel einen Schirm mitzunehmen, und bei strahlend blauem nicht.
Trotzdem ist das Wetter nicht unvorhersagbar. Man kann ziemlich sicher sein, dass es nachts kälter ist als tags. Bauern können nicht wissen, wann der letzte chaotische Nachtfrost kommt. Trotzdem können sie mit hinreichender Zuverlässigkeit die Pflanzung empfindlicher Gewächse planen. Das klappt natürlich nicht immer, aber durch Beobachtung der Wetterkurven finden sie bessere Daten als wenn sie sie rein zufällig auswürfeln würden.
Insofern kann die Beobachtung von kleinen typischen Regelmäßigkeiten insgesamt chaotischer Daten durchaus verbesserte Erwartungswerte ermöglichen.
Die „Einpreisung“ von Nachrichten
Die Markteffizienzhypothese besagt, dass Nachrichten unmittelbar eingepreist werden. Berechtigt mag die Annahme im Fall eines Crashs sein. Aber in ruhigen Märkten ist diese Unmittelbarkeit meines Erachtens zweifelhaft.
Die großen Summen einflussreicher Marktteilnehmer werden üblicherweise nicht gleich vollständig an den Markt übergeben, weil das ihnen selbst die Kurse verderben würde. Stattdessen kaufen und verkaufen Fonds und Stiftungen über längere Zeiträume in kleineren Tranchen, die zu den typischen regelmäßigen Auf- und Abwärtstrends führen. An diesen Trends können sich Charttechniker gezielt anhängen und mit davon profitieren.
Was bei dieser nüchternen Betrachtung von Nachrichten und Kursen nicht berücksichtigt wird, ist die Psychologie der Emotionen, die noch einen eigenen Beitrag verdient hat. Menschen lassen sich von Emotionen anderer leicht anstecken und vom Schwung der Aktienkurse mitreißen. In der Hausse steigen immer mehr optimistische Spekulanten in den Aufwärtstrend mit ein. Im Crash führt die Panik dazu, dass auch Anleger verkaufen, die eigentlich vom langfristigen Halten der Aktien überzeugt waren.
Die Unvermeidbarkeit des Market Timings
Eine interessante, aber unorthodoxe Ansicht vertrat Marian McClellan, die den McClellan-Oszillator mit erfunden hat, ein Werkzeug zum Market Timing, über das ich zu einem anderen Zeitpunkt schreiben werde. Ihrer Meinung nach betreibt jeder Anleger bei jeder Transaktion Market Timing, wenn nicht durch die Kurse, dann durch andere Einflüsse. Das ist natürlich nicht, was man gemeinhin unter Market Timing versteht, aber es zeigt einen weiteren Aspekt. Wenn fremde Einflüsse gehäuft auftreten, werden sie den Markt systematisch beeinflussen und können dadurch auch von anderen Marktteilnehmer ausgenutzt werden. Wenn zum Beispiel eine Regierung einen Covid-19-Stimulus für alle ankündigt, kann man mit einem Anstieg der Aktienkurse rechnen.
Fazit
Die Märkte reagieren sofort auf Nachrichten und bewegen sich auch davon abgesehen durch beliebigen Handel chaotisch. Trotzdem ist es nicht ausgeschlossen, hinter den Schwankungen größere Muster wahrzunehmen. Diese entstehen zum Beispiel durch Transaktionen großer Marktteilnehmer oder starke Emotionen unter den Spekulanten.
In eingen Folgebeiträgen werden ich Verfahren diskutieren, mit denen Anleger versuchen, die Durchschnittsrendite des Marktes zu übertreffen.